1901 – 1959
1901 – 1959
Am Anfang der industriellen Revolution steht die Dampfmaschine, doch inzwischen werden immer mehr Maschinen elektrisch angetrieben. Bereits seit 1900 existiert in Bayern ein Revisionsverein für elektrische Anlagen.
Viele der Mitglieder gehören zugleich dem Dampfkessel-Revisionsverein an, da sie in ihren Unternehmen beide Technologien einsetzen.
So ist es nur konsequent, dass sich die beiden Vereine in Bayern 1903 zum Bayerischen Revisionsverein zusammenschließen. Im selben Jahr richtet der Badische Dampfkessel-Revisionsverein eine elektrotechnische Abteilung ein.
Im September 1906 erlässt die badische Regierung eine Verordnung, welche die Überprüfung von Kraftfahrern und Automobilen im Großherzogtum vor- schreibt: „Wenn ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen werden soll, hat der Eigentümer hiervon dem Bezirksamt seines Wohnorts eine schriftliche Anzeige zu erstatten. [...]
Der Anzeige ist das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen beizufügen.“ Mit der Durchführung der Prüfungen wird der Badische Dampfkessel-Revisionsverein beauftragt. Um der neuen Aufgabe gewachsen zu sein, arbeitet der Verein mit der Firma zusammen, deren Name untrennbar mit der Erfolgsgeschichte des Automobils verknüpft ist: Bei Benz & Co. werden zwölf Kessel- Ingenieure zu Kfz-Sachverständigen ausgebildet.
Der Name Benz ist bereits damals allen Automobilbegeisterten ein Begriff. Immerhin hat Carl Benz 1886 mit seinem Patent-Motorwagen Nummer 1 den ersten praxistauglichen Kraftwagen der Geschichte entwickelt. Im August 1888 hat Bertha Benz mit einem von ihrem Ehemann entwickelten Fahrzeug, dem Motorwagen Nummer 3, die 106 Kilometer lange Strecke zwischen Mannheim und Pforzheim bewältigt und damit die erste Überlandfahrt eines Automobils unternommen. Jetzt, im Jahr 1906, nimmt in Mannheim, der Geburtsstadt des Autoverkehrs, auch die technische Überprüfung von Kraftfahrzeugen ihren Anfang.
Elektrische Aufzüge werden von den Revisionsvereinen seit 1907 (Baden) und 1908 (Bayern) überwacht. Doch wie oft und ob überhaupt Prüfungen stattfinden, liegt anfangs im Ermessen der Betreiber.
Dies ändert sich in Baden mit einer Verordnung der Landesregierung vom Sommer 1912, welche für Personenaufzüge alle zwei Jahre, für Lastenaufzüge alle vier Jahre Untersuchungen vorschreibt. Sämtliche Ingenieure des Badischen Revisionsvereins werden per Ministerialerlass zu Sachverständigen für Fördertechnik erklärt. Daraufhin finden 1913 erstmals flächendeckende Aufzugsprüfungen in Baden statt.
Ein neues Geschäftsfeld ist erschlossen.
Die Kriegserklärungen Deutschlands gegenüber Russland und Frankreich im August 1914 werden von großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit begeistert aufgenommen.
Doch bald schon zeigen sich die verheerenden Folgen des entfachten Kriegs, auch mit Blick auf die Revisionsvereine: Die Arbeit im seit 1888 existierenden Internationalen Verband kommt zum Erliegen. Auch die Normenkommission stellt ihre Arbeit ein.
Zahlreiche Sachverständige wer- den bereits kurz nach Kriegsausbruch zum Wehrdienst eingezogen oder melden sich freiwillig. Gleiches trifft auf das Fachpersonal in den Mitgliedsunternehmen zu. Das anlagentechnische Know-how sinkt, während gleichzeitig immer weniger Prüfungen stattfinden.
Unglücksfälle sind die Folge, etwa im Dezember 1916 in Nürnberg: Dort platzt durch eine Fehlbedienung der Wasserkessel eines Großkraftwerks, drei Menschen sterben. Fast einen Tag lang bleibt die gesamte Stadt ohne Strom. Erst 1921 wird die Dachorganisation – nun als deutscher Verband – neu gegründet.
Emissionsschutz ist keine Erfindung der 1980er-Jahre. Der Bayerische Revisionsverein widmet sich dem Thema vielmehr schon kurz nach seiner Gründung. Bereits 1879 berät der Verein den Magistrat der Stadt München zum Thema Rauchgasverhütung bei Dampfkesselfeuerungen.
Im Jahresbericht 1912 machen die bayerischen Sachverständigen gegen den Trend zu immer niedrigeren Schornsteinen mobil: Diese seien, so die fortschrittliche Position des Vereins, „wegen der schädlichen Rauchgasbestandteile [...] mit Rücksicht auf die in der Nachbarschaft befindlichen Menschen, Tiere und Pflanzen [...] nicht zulässig“. 1921 erstellt der Bayerische Revisionsverein ein Gutachten über die Staubbelastung durch Feuerungsanlagen.
Auch hier fordert er, beim Bau der Schornsteine Mindesthöhen einzuhalten.
Mitgliedsbeiträge und Prüfgebühren bilden seit jeher die finanzielle Basis für die Revisionsvereine. Diese Basis zerfällt, als der Wert der Reichsmark ins Bodenlose sinkt.
Um dem drohenden Bankrott zu entgehen, erhöht etwa der badische Verein seine Mitgliedsbeiträge im Jahr 1923 zunächst auf das 500-fache, dann auf das 1.000-fache und schließlich auf das 3.000-fache.
Doch die Geldentwertung schreitet weit schneller voran: „Eine längere Dienstreise, mit voraussichtlich genügenden Geldmitteln angetreten, musste des Öfteren unterbrochen werden, da das mitgenommene Geld im Handumdrehen verschwunden war, und Nachsendungen durch die Post das gleiche Schicksal erfuhren, ehe sie den Empfänger erreichten.“
Erst mit Einführung der Rentenmark im November 1923 können die Revisionsvereine zu einer soliden Wirtschaftsweise zurückkehren.
Das Münchener Oktoberfest hat sich Ende der 1920er-Jahre längst als größtes Volksfest Bayerns etabliert. Auch Fahrgeschäfte gibt es dort seit über 100 Jahren, doch bisher werden diese nicht systematisch überwacht.
Da die Konstruktionen immer wagemutiger und gefährlicher werden, geben die Bayerischen Staatsministerien des Äußeren, des Inneren und für Landwirtschaft und Arbeit im Sommer 1929 eine Verordnung heraus: Der Bayerische Revisionsverein soll regelmäßig die „Fliegenden Bauten“ im südlichen Bayern prüfen.
1930 wer- den erstmals drei Vereins-Ingenieure auf der „Wiesn“ eingesetzt, um drei Achterbahnen, drei Toboggan-Rutschen und eine „Autobahn“ auf Schwachstellen zu untersuchen.
Durch die wiederkehrende Tätigkeit auf dem größten Volksfest der Welt entwickeln die Münchener Ingenieure eine führende und einzigartige Kompetenz im Bereich „Fliegende Bauten“, die bis heute weltweit gefragt ist.
Direkt nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 beginnen die Nationalsozialisten, den demokratischen Rechtsstaat zu zerschlagen. Unabhängige Vereine und Institutionen werden „gleichgeschaltet“, Schlüsselpositionen mit Anhängern der NS-Ideologie besetzt.
Dieses Schicksal ereilt auch die Revisionsvereine. Zudem findet eine „Selbstgleichschaltung“ statt. Der Bayerische Revisionsverein ordnet bereits frühzeitig die Verwendung des Hitlergrußes an, jüdische und politisch andersdenkende Mitarbeiter werden aus dem Verein gedrängt.
Im März 1938 kommt es zu einer grundlegenden Umgestaltung der technischen Überwachung in Deutschland: Aus den bisher 37 Institutionen im Reichsgebiet werden 14 regionale Überwachungsvereine, die erstmals einheitlich als TÜV (Technische Überwachungsvereine) bezeichnet werden. An die Stelle der individuellen Statuten tritt eine Einheitssatzung.
Für Unternehmen mit überwachungspflichtigen Anlagen wird die Mitgliedschaft im jeweils zuständigen TÜV verpflichtend. Damit wird das System der technischen Überwachung modernisiert und national vereinheitlicht. Der Preis dafür ist hoch: Die Vereine verlieren ihre Unabhängigkeit und damit einen ihrer wichtigsten Werte.
Der von Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg kehrt ab 1943 nach Deutschland zurück. Die immer häufiger werdenden Angriffe alliierter Bomberverbände treffen neben zahlreichen Industrieanlagen vor allem die Zivilbevölkerung in den deutschen Großstädten.
Unter den Bedingungen des „totalen Kriegs“ ist eine geordnete technische Überwachung praktisch unmöglich. Nicht nur die Mitgliedsunternehmen, auch die Vereine selbst sind von den Zerstörungen betroffen.
In Mannheim erleidet die Hauptverwaltung des für Baden und Württemberg zuständigen Überwachungsvereins bereits 1943 mehrere Bombentreffer. Bis Kriegsende werden auch die Vereinsgebäude in Augsburg, München, Nürnberg, Stuttgart, Ulm und Würzburg schwer beschädigt. Regional kommt die Tätigkeit der Überwachungsvereine damit völlig zum Erliegen.
Während technische Sicherheit in der sowjetischen Besatzungszone Sache des Staates wird, können sich die Überwachungsvereine im Westen wieder etablieren.
Zunächst arbeiten sie bei weitgehend unklarer Rechtslage ohne offizielle Anerkennung, aber doch mit Duldung der alliierten Besatzungsbehörden weiter. Noch vor Gründung der Bundesrepublik werden in den Jahren 1948 und 1949 die meisten regionalen Organisationen wieder in die Vereinsregister eingetragen. Auf Basis neuer Satzungen kehren die westdeutschen TÜV-Gesellschaften zur Selbstverwaltung zurück.
Anstelle der 1938 eingeführten Zwangsmitgliedschaft tritt erneut das Prinzip der Freiwilligkeit.
Das eigene Auto steht für viele West- deutsche in der Wirtschaftswunderzeit ganz oben auf der Wunschliste. Der zunehmende Individualverkehr wird jedoch zum Sicherheitsproblem. Bereits 1951 reagiert der Gesetzgeber, indem er für alle zulassungspflichtigen Kraftfahrzeuge regelmäßige Hauptuntersuchungen vorschreibt.
Mit der Durchführung werden fast überall die Technischen Überwachungsvereine beauftragt. Darüber hinaus kommt den Vereinen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr zu.
Vorreiter ist hierbei der TÜV Stuttgart, der im März 1952 ein medizinisch-psychologisches Institut für Verkehrssicherheit ins Leben ruft. Unter dem Dach dieses MPI soll die Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen bei Fahrern mit häufigen Unfällen oder solchen mit speziellen gesundheitlichen Beschwerden überprüft werden.
Im November 1954 wird auch in Bayern die erste Medizinisch-Psychologische Untersuchungsstelle (MPU) eröffnet.
Ende der 1950er-Jahre gilt die Atomkraft weltweit als Technologie der Zukunft. Über politische Parteigrenzen hinweg herrscht Einigkeit, dass die Bundesrepublik bei der Nutzung schier unbegrenzter nuklearer Energieressourcen eine Vorreiterrolle spielen sollte.
Im Herbst 1957 richtet der TÜV Bayern eine Arbeitsgruppe Kernenergie und Strahlenschutz ein und erstellt ein Sicherheitsgutachten für den Forschungsreaktor München, der am 31. Oktober des Jahres in Betrieb geht.
Auch beim Aufbau des ersten Atomversuchskraftwerkes in Kahl bei Aschaffenburg (1958–1960) und bei der Errichtung des ersten deutschen Leistungskraftwerkes in Grundremmingen (1963–1966) sind die Münchener TÜV-Sachverständigen als Gutachter gefragt.