Wir bringen Sicherheit aufs Gleis
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Im Rahmen des Zulassungsprozesses für Schienenfahrzeuge überprüfen akkreditierte Prüfstellen auch die Stromabnehmer. Es gibt verschiedene Messverfahren, um die wirkenden Kräfte zwischen Schleifleiste und Fahrleitung und den damit einhergehenden Verschleiß zu ermitteln. Diese unterscheiden sich je nach EU-Land und dem dort verwendeten Bahnstromsystem. TÜV SÜD Rail stellt die Messverfahren vor.
Die EU und insbesondere Deutschland haben eines der dichtesten Eisenbahnstreckennetze weltweit. Über 200.000 km verlegte Gleistrassen in der EU stehen den Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Verfügung. Viele dieser Strecken sind mit Bahnstromsystemen für elektrische Schienenfahrzeuge ausgestattet.
Die Triebwagen berühren mit ihren Stromabnehmern die Oberleitung, die auch als Fahrdraht bezeichnet wird. Als Schleifleiste wird das Bauelement des Stromabnehmers bezeichnet, das mit dem Fahrdraht in Kontakt tritt. Dabei kommt es während der Fahrt zu mechanischem und elektrischem Verschleiß.
Um den mechanischen Verschleiß zu minimieren, verlaufen Fahrdrähte nicht parallel zur Gleisrichtung sondern in Diagonalen dazu. Damit wird die gesamte Breite der Schleifleiste des Stromabnehmers genutzt. Dies kann man sehr gut erkennen, wenn man bspw. von einer Brücke auf die Oberleitung herabsieht.Die im Zulassungsprozess angewendeten Messverfahren, um die Interaktion zwischen Stromabnehmern und Fahrdraht zu bewerten, beziehen sich allerdings auf die Stromabnehmer. Welche Verfahren die Prüfexperten anwenden, hängt auch vom Bahnstromsystem ab.
In den Staaten der EU kommen sowohl Gleichspannungs- als auch Wechselspannungsnetze zum Einsatz. Bei Gleichspannungsnetzen kommt es vermehrt zu elektrischem Verschleiß durch auftretende Lichtbögen. Dabei greifen die Prüfer auf das in einigen Ländern anerkannte Verfahren der Lichtbogenmessung zurück. In den meisten EU-Ländern, z.B. in Deutschland, funktioniert die Stromversorgung über Wechselspannungsnetze. Dabei sind Lichtbögen selten und das Messverfahren dafür ist nicht zugelassen. Deshalb wurde die Kontaktkraftmessung entwickelt. Parallel zu einem dieser beiden Messverfahren, wird auch immer der Fahrdrahtanhub ermittelt, was nach der Europäischen Norm (EN) 50317 erforderlich ist.
Als Kontaktkraft wird die Kraft bezeichnet, die zwischen der Schleifleiste und dem Fahrdraht wirkt. Bei Fahrzeugstillstand wird dies als statischer Anpressdruck bezeichnet und ist annähernd konstant. Abweichungen von diesem Wert nehmen allerdings mit zunehmender Geschwindigkeit des Fahrzeugs signifikant zu. Das führt dazu, dass mit einer zu hoch eingestellten Kontaktkraft auch der mechanische Verschleiß größer wird. Auf der anderen Seite begünstigt eine zu niedrige Kontaktkraft das Auftreten von Lichtbögen und damit den elektrischen Verschleiß.
Weiteren Einfluss auf die Kontaktkraft haben aerodynamische und dynamische Eigenheiten des Triebwagens, die Anzahl und der Abstand der gehobenen Stromabnehmer pro Fahrzeug oder die Bauweise der Oberleitung. Auch wenn mehrere Triebfahrzeuge gemeinsam zu einem Zug gekuppelt sind, hat das Auswirkungen. Dabei können Fahrzeuge unterschiedlich gekuppelt werden oder es kommen nicht baugleiche Stromabnehmer zum Einsatz. Mit Simulationsrechnungen nach EN 50318 lassen sich verschiedene dieser Betriebsvarianten durchrechnen. Um kritische Varianten zu überprüfen, entwickelten
TÜV SÜD Rail-Prüfingenieure das Kontaktkraftmessverfahren.
Ein Messsystem, das den hohen Anforderungen gerecht werden konnte, war am Markt allerdings nicht verfügbar. Die zu messenden mechanischen Größen bewegen sich in einem Bereich von etwa 100 Newton, was sehr gering ist. Allein die Tatsache, dass Messungen im Fahrbetrieb, also unter Hochspannungspotenzial vorgenommen werden sollten, stellte eine große Herausforderung dar. So war bspw. nicht klar wie sich elektromagnetische Felder der Oberleitung auswirken, wie das Übertragen der Messdaten funktioniert oder wie die Sensorik mit Energie versorgt wird. Darüber hinaus spielt auch das Gewicht und die Größe der Sensoren eine wichtige Rolle. Sie nehmen Einfluss auf Dynamik und Aerodynamik des Stromabnehmers und verfälschen unter Umständen die Messergebnisse. Eine Standard-Schleifleiste wiegt lediglich zwischen 2 und 3,5 kg.
Schließlich entschieden sich die Entwickler für ein klassisches Messprinzip mit elektrischen Kraftsensoren. Speziell dafür wurde ein kleiner und leichter Sensor entworfen, der dem Messbereich und der geforderten Messgenauigkeit gerecht wird. Zwar entstehen durch das Anbringen der Sensoren unterhalb der Schleifleiste weitere technische Nachteile. Diese lassen sich allerdings ausgleichen durch Zusatz- oder vorgelagerte Messungen und damit verbundenen rechnerischen Korrekturen. Aktuelle Weiterentwicklungen machen aber auch diese Korrekturen in naher Zukunft überflüssig. Anschließend wurden zahlreiche Prüfstandversuche durchgeführt und der erste Messstromabnehmer konnte für einen Test unter realen Bedingungen präpariert werden. Dies geschah unter extremen klimatischen Bedingungen in Norwegen bei Geschwindigkeiten bis zu 220 km/h. Alle Tests wurden erfolgreich absolviert, so dass das Kontaktkraftmessverfahren zwischenzeitlich mehrmals angewendet und nach EN 17025 akkreditiert wurde.
Ein gehobener Stromabnehmer versetzt die Oberleitung während der Fahrt in Schwingungen. Den maximalen Ausschlag des Fahrdrahts im Vergleich mit der Ruhelage bezeichnet man als Fahrdrahtanhub. Allerdings ist die Herangehensweise für ein Messverfahren, das diese Differenz erfasst, eine andere als bei der Kontaktkraftmessung. Ähnlich wie das quietschende Geräusch der Eisenbahnräder, das Menschen hören können bevor ein Zug vorbeifährt, verhält es sich auch bei den Schwingungen der Oberleitung. Sobald ein Zug mit gehobenem Stromabnehmer in eine Abspannung einfährt, beginnt der Fahrdraht zu schwingen und pendelt sich erst wieder in seiner Ruhelage ein, wenn der Zug die Abspannung wieder verlassen hat. Auch reflektieren Abspannungen vorausgelaufene Schwingungswellen, die auf diesem Wege wieder zurück zum Stromabnehmer kommen. Somit sind exakte Messungen mit Systemen, die am Stromabnehmer befestigt sind, nicht möglich. Weder die Ruhelage als Referenzwert noch das Maximum können so bestimmt werden.
Als Lösung dienen stationäre Messsysteme. Einerseits realisieren Prüfer dies durch Seilzugsensoren, die an festen Messstellen die Hubdifferenzen ermitteln. Für die Installation muss allerdings die Oberleitung abgeschaltet und der betreffende Streckenabschnitt gesperrt werden. Mobil einsetzbar sind hingegen auf Photogrammetrie basierende Kamerasysteme. Dabei wird der Fahrdraht von einem festen Standort aus vor, während und nach einer Zugdurchfahrt gefilmt. Das Auswerten der Filmaufnahmen erfolgt vor Ort. Dafür wird die Fahrdrahtbewegung durch Pixel pro Zeiteinheit abgelesen und anschließend in ein Längenmaß umgerechnet. Dieses Verfahren ist nach EN 17025 akkreditiert. Da die Fahrdrahtanhubmessung immer vorzunehmen ist, ist es ratsam, sie mit der Kontaktkraft- oder der Lichtbogenmessung zu kombinieren.
Lichtbögen können auftreten, wenn die Kontaktkraft zwischen Stromabnehmer und Fahrdraht sehr niedrig oder unterbrochen ist. Sie führen zu elektrischem Verschleiß und zeigen eine schlechte Qualität der Stromübertragung zwischen Stromabnehmer und Fahrdraht an. Im Fahrzeug kann es dadurch sogar zu Hauptschalterauslösungen kommen. Beim Messen gilt es herauszufinden, wie lang die summierte Brenndauer von Lichtbögen im Verhältnis zur Gesamtmesszeit ist. Das erfordert neben der optischen auch eine korrekte zeitliche Erfassung.
Auch hier mussten die Experten einen Sensor entwickeln, der für verschiedene Bahnstromsysteme anwendbar ist und die Anforderungen der relevanten EU-Normen erfüllt. Nach Testphasen mit einem sonnenlichtunempfindlichen Prototyp, der zu jeder Tageszeit und jeder Witterung einsetzbar ist, konnte auch dieses Messverfahren nach EN 17025 und EN 50317 akkreditiert werden. Somit bietet TÜV SÜD Rail alle für das EU-Gebiet relevanten Messverfahren für die Interaktion zwischen Stromabnehmer und Oberleitung aus einer Hand an.
Zuverlässigkeit und Sicherheit von Infrastruktur und Bahnbetrieb sind die Basis jedes Bahnsystems.
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